Lydia Nsiah

Ephemeral Places

text on Bernd Oppl’s art work (Exhibition Catalogue/Adjacent Realities/Austrian Cultural Forum London), english & german, 2015

Ein Stuhl, ein Tisch, ein Bettende, zwei Türen und ein Lichtschalter glänzen fahl in mattem Grau. Alles wirkt ruhig und statisch, nur sehr langsam kommen Zweifel auf an der Echtheit des Raumes und der verbildlichten Wirklichkeit. In Zeitlupe breitet sich eine Eisschicht aus, über die Möbel, die Bettdecke, Wände und Türen – die Kamera öffnet den Raum, erweitert den Bildausschnitt und legt frei, was das Eis gleichzeitig verdeckt und mit der Zeit ‘verschwinden’ lässt. Bernd Oppls Video und Objekt Hotel Room (2011) kreist um das Dazwischen von Bewegung und Stillstand und inszeniert dabei den sogenannten beliebigen oder auch Nicht-Ort in all seiner Flüchtigkeit.1 In jedem unserer Köpfe ist das Hotelzimmer über die meist kurze Dauer des Aufenthalts hinaus verankert, aktiviert durch punktuelle Erinnerungen an reale und filmische Reisen, an individuelle und kollektive Spuren unseres virtuellen (Bilder-) Gedächtnisses – ein Screen des Absenten. In seiner monochromen Schlichtheit spielt Oppls Hotel Room die Rolle für viele, schon dagewesene und noch kommende Orte des kurzen Verweilens und Durchquerens, des Rückzugs und des Aufbruchs. Die einfach anmutende Gestaltung des Objekts lässt Raum für eigene Imaginationen und Zuschreibungen – da wird ein Bild an der Wand hinzugefügt, dort die Reiselektüre am Nachttisch. Gerade die Abwesenheit von solch besetzenden Dingen, Menschen und Tieren, aktiviert vergessen geglaubte reale wie mediale Bilder in unserem Gedächtnis und konstruiert einen “Raum virtueller Verbindung, […] ein[en] Ort des Möglichen”.2 Oppls Objekte sind Projektionsflächen und fordern direkt unsere Wahrnehmung und Vorstellungskraft heraus, fördern Erinnerungsbilder wie -lücken zu Tage.
Basis für Oppls – die Mechanismen hinter der Konstruktion meist offen legende – Arbeiten sind minutiös gebaute oder auch 3D-gedruckte Modelle von beliebigen Orten, wie Warteräumen, Korridoren und Passagen. Ob an das frühe Kino der Attraktionen erinnernde Filmobjekte oder als Welt mit eigenen Natur- und Schwerkraftgesetzen – allen gemein ist das (bewegte) Spiel mit den medialen Relationen zwischen scheinbaren Gegensatzpaaren, wie IIlusion | Realität, Dokumentation | Fiktion, Konstruktion | Zufall, Präsenz | Absenz, Virtualität | Aktualität und Erinnerung | Vergessen.

In den zwei Objekten canteen und sleeping hall (2015) wird die Fläche der Projektion gar ins rein statische, nur imaginär bewegliche, transformiert: Zwei 3D-gedruckte Modelle sind in weißen Guckkästen eingefasst, die an der Wand befestigt mit ebendieser verschmelzen. Die Betrachter_innen müssen ganz nah herangehen um die räumlichen Objekte in ihrer Ganzheit zu erfassen – deren ‘moderne’ Architektur, die schmalen Fensterrahmen, die Stuhlkonstruktion der Kantine, die eingefasste Deckenbeleuchtung des Schlafsaals. Die Distanz zum konstruierten Bild wird durch diese Blicksteuerung aufgehoben und reflektiert neben der Perspektive des Künstlers selbst, die eigenen “Risse im Netz der Wahrnehmungsverlässlichkeiten”.3 Oppls Objekte werden zu Akteuren, sie regen neue Blickrichtungen an und sind scheinbar eigenmächtig mit einer ‘zweiten’ Natur der Dinge verbunden. Gleichzeitig manifestieren sie nichts, sie bleiben beweglich und ephemer – und sie erinnern uns unter anderem an die Bilderwelten des frühen Films ohne Kinos und Screens, oder auch an das Eigenleben von Raum und Architektur im Hollywoodfilm der Nachkriegszeit. Sie wandern mit uns weiter zum nächsten (beliebigen) Ort und verflüchtigen sich in den Weiten unseres Gedächtnisses, um schließlich in virtueller Form aus ihrem ephemeren Dasein hinaus immer wieder in unsere Erinnerung überzuschwappen. (Lydia Nsiah, 2015)

 

1. Vgl. Réda Bensmaïa, Der “beliebige Raum” als “Begriffsperson”, in: Oliver Fahle, Lorenz Engell (Hg.), “Der Film bei Deleuze | Le cinéma selon Deleuze”, Weimar 1999.
2. Gilles Deleuze, Das Bewegungs-Bild, Frankfurt am Main 1989, 153.
3. Bernd Oppl, “Von hier aus. ›Ich inszeniere die Realitäten vor und hinter dem Screen‹”, Interview mit Ursula Maria Probst, in: Desiring the Real. Austria Contemporary, Wien 2012, 123.